(in German only)
SBKV-Geschäftsleiterin Salva Leutenegger im Gespräch mit Urban Frye im Kulturmagazin “041”
Das Luzerner Theater holt zu künstlerischen Höhenflügen aus, das Bodenpersonal murrt. Was ist passiert? Ist der Ehrgeiz des Intendanten mit ihm durchgebrannt, wirkt der Spardruck nach, oder rühren die Spannungen von strukturellen Problemen? Mit der Arbeitnehmervertreterin Salva Leutenegger und dem Grünen-Politiker Urban Frye sprach Marlène Schnieper.
Eine junge Dramaturgin stellt fest, dass ihr Einkommen am Luzerner Theater unter dem liegt, was sie während des Studiums an der Migroskasse verdiente. Ein Schauspieler sagt, dass ihm zwanzig Drehtage beim Film gleich viel einbringen wie ein halbes Jahr Arbeit im Haus an der Reuss.
Frau Leutenegger, ist das normal?
Salva Leutenegger: Ja, leider verhält sich das seit Langem so. Es wird sich auch nicht ändern, wenn wir uns nicht alle zusammen ernsthaft wehren.
Ist das in der ganzen Schweiz so oder nur in Luzern?
Leutenegger: Soweit wir sehen, sind die Gagen im Bereich von Oper und Theater überall sehr tief, das gilt für Festangestellte wie für die freie Szene. Mit einer Mindestgage von derzeit 3700 Franken pro Monat bildet Luzern allerdings zusammen mit Biel/Solothurn das Schlusslicht der institutionellen Theater.
Selten erhielt das Luzerner Theater künstlerisch so viel Lob wie unter der Intendanz von Benedikt von Peter. Weshalb zahlt sich das nicht aus für all jene, die vor und hinter den Kulissen bis zum Umfallen schuften?
Leutenegger: Als Arbeitnehmerorganisation kämpft der Schweizerische Bühnenkünstlerverband (SBKV) seit Jahren für eine gerechtere Aufteilung der jeweils vorhandenen Mittel. Im Vorstand des Schweizerischen Bühnenverbandes (SBV), also der Arbeitgebervertretung, sitzt auch Adrian Balmer, der Verwaltungsdirektor des Luzerner Theaters. Wenn wir in der gemeinsamen Tarifkommission mit unserem Sozialpartner um Hebung der Mindestgagen ringen, stehen wir häufig auf verlorenem Posten – auch das landesweit. In Luzern, wo der Nachholbedarf besonders gross wäre, versteckt man sich gern hinter dem Subventionsgeber. «Unser finanzieller Rahmen ist beschränkt, wir müssen uns nach der Decke strecken, es geht ja auch nicht an, dass Künstler mehr verdienen als Techniker.» So und ähnlich lauten die Ausflüchte.
Wachsendes Unbehagen äussert freilich nicht nur das künstlerische, sondern auch das technische Personal. Der monatliche Mindestlohn eines Schreiners am Luzerner Theater liegt fast 1100 Franken unter dem Mindestlohn im national gültigen Gesamtarbeitsvertrag. Wussten Sie das, Herr Frye?
Urban Frye: Ich wusste es, doch das Publikum ist sich der prekären Arbeitsbedingungen oft nicht bewusst. Hungerlöhne mögen an Theatern Usanz sein, dennoch halte ich es nicht für normal, dass hochqualifizierte Fachkräfte, eine Tänzerin mit Diplom, ein Dramaturg mit Masterabschluss, auf der Stufe von ungelerntem Servicepersonal entlöhnt werden.
Bühnenkunst handelt von Macht und Ohnmacht, von existenzieller Not und Ausbeutung, dabei sind die Protagonisten selber die Ausgebeuteten. Ein Paradox?
Leutenegger: Tatsächlich erfahren Künstlerinnen und Künstler nur zu oft, wie zerbrechlich und austauschbar sie sind. Vielleicht führen sie uns gerade deshalb die Nichtigkeit menschlichen Strebens so eindringlich vor Augen.
Frye: Die Krux ist, dass das Luzerner Theater, das einst ein Stadttheater war, inzwischen eine Stiftung ist, also eine Einrichtung auf privatrechtlicher Basis, unabhängig von der öffentlichen Hand. Damit hat man die Asymmetrie der Macht quasi institutionalisiert. Das oberste Kader kann schalten und walten, wie ihm beliebt. Wem’s nicht passt, der kann gehen. Unter dem Primat der Kunst ist jede und jeder ersetzbar, für eine offene Stelle stehen hundert andere an.
Das Luzerner Sinfonieorchester (LSO), Partner des KKL und des Theaters, ist ebenfalls privatrechtlich organisiert. Es holt sich nicht nur künstlerisch Meriten, seine Mitglieder sind auch finanziell vergleichsweise gut gehalten. Liegt das am rührigen Intendanten Numa Bischof Ullman oder woran sonst?
Leutenegger: Musikerinnen und Musiker sind traditionell bessergestellt. Dass sie am Hof spielten, der weltlichen oder kirchlichen Macht nahestanden, wirkt bis heute nach. Mittlerweile lernten sie zudem, für ihre Rechte solidarisch einzustehen.
Frye: In Luzern hielt niemand Hof. Als Musiker brauchte man in dieser Stadt früher ein Bettler- und Hausiererpatent. Der zweite Umstand, den Frau Leutenegger anspricht, fällt stärker ins Gewicht: Orchestermusiker sind inzwischen gewerkschaftlich besser organisiert als andere Künstler. Sie kennen ihren Wert, können nebenbei unterrichten und arbeiten in der Regel bis zur Pension. Die Karriere einer Tänzerin endet im Alter von etwa 35 Jahren, danach muss sie sich umschulen lassen. Ihre Gage trägt dem kaum Rechnung. So ergeben sich krass unterschiedliche Verhältnisse innerhalb der künstlerischen Sparten.
Über den Zweckverband von Stadt und Kanton fliessen derzeit jährlich mehr als 28 Millionen Franken an die grossen Luzerner Kulturbetriebe. Gut 20 Millionen Franken gehen allein an das Theater, drei Millionen an das LSO. Daran hat der Regierungsrat die Erwartung geknüpft, dass diese Betriebe «marktgerechte Arbeitsbedingungen bieten und eine Personalpolitik nach ethischen Grundsätzen betreiben». Das klingt gut, doch wer verleiht dem Nachdruck?
Leutenegger: Herr Frye hat es erwähnt, als Stiftung ist ein Kulturbetrieb grundsätzlich unabhängig auch vom Subventionsgeber. Kein Politiker, keine Politikerin wird sich in die Personalplanung, geschweige denn in das künstlerische Programm eines solchen Betriebs einmischen wollen. Doch böten sich im Rahmen eines Subventionsvertrages durchaus Möglichkeiten, den Finger auf wunde Punkte zu legen. Darf ein Theater unter Spardruck mit den Gagen knausern, derweil ein Regisseur weisse und handgefertigte Gummistiefel für eine bestimmte Szene aus London ordern kann, auch wenn die Stiefel am Ende vielleicht gar nicht gebraucht werden? Solche kritischen Rückfragen wären einer gerechteren Aufteilung der gegebenen Mittel förderlich. Da könnten die öffentlichen Geldgeber schon mutiger sein. Darauf hat unser Verband in einer nationalen Kampagne im vergangenen Jahr hingewiesen.
Frye: Dieser Aspekt ist mir wichtig. Bei aller Achtung für die künstlerische Freiheit eines Intendanten – sollte er nicht zusammen mit dem Verwaltungsdirektor zuerst darum bemüht sein, die Mindestgagen auf ein anständiges Mass zu heben, ehe er festlegt, welche Anzahl von Produktionen und wie viel Extravaganz die verfügbaren Finanzen gestatten? Mangelt es am dafür notwendigen Verantwortungsgefühl, sollte es der Stiftungsrat anmahnen. Aber die Mitglieder dieses Gremiums wählen sich selbst, sie üben ihr Amt so lange aus, wie sie wollen. In Luzern hat man von dieser Seite lange nichts gehört. Tauglicher wäre vielleicht ein Verein, in
dessen Vorstand Personalvertreter einsässen. Die Basis könnte sie wählen und abwählen und damit auch in die Pflicht nehmen.
Mai 19
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